Es ist nicht so, dass Alain Berset (50) komplett schweigt. Am Freitagabend etwa berichtete der Bundesrat SP über den Festivalklassiker Verbier VS. Auf Twitter zeigte er sich berührt von einem gemeinsamen Auftritt ukrainischer und russischer Musiker und ihrer „Botschaft des Friedens und der Solidarität“.
Eine Woche zuvor, nachdem der ehemalige Premierminister Shinzo Abe ermordet worden war, drückte der polyglotte Magistrat dem japanischen Volk auf Englisch sein Beileid aus.
Obwohl Berset das Weltgeschehen auch während der Sommerferien genau beobachtet, schweigt er über heikle Vorfälle, die ihn und seine Regierung direkt betreffen.
Nun auch mit seinem letzten Verzicht, der dem Sozialdemokraten einen Ehrenplatz auf der Tribüne des Bundesrates sicherte.
Privatangelegenheit?
Der Innenminister, der einen Pilotenschein besitzt, mietete am 5. Juli eine einmotorige Cessna und verließ Écuvillens in Freiburg in Richtung Frankreich. Im Luftraum des Nachbarlandes geriet die Fahrt außer Kontrolle. Berset wurde von einem Rafale-Kampfflugzeug der französischen Luftwaffe abgefangen und zur Landung gezwungen. Eine Rekonstruktion seiner Route deutet darauf hin, dass der Schweizer Magistrat einem Militärflugplatz zu nahe kam. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (44) wurde laut «NZZ» gemeldet.
Obwohl das Staatsoberhaupt im Elysée über die Odyssee informiert war, versuchte Berset, den Vorfall in seinem Haus geheim zu halten. Wie die Recherche des Sonntagsblicks zeigt, hat sich Berset nicht einmal seinen Bundesratskollegen gemeldet.
Sein Sprecher Christian Favre bestätigte die Anfrage: «Nach unserem Kenntnisstand wurde kein Gerichtsverfahren eingeleitet. Die Situation rechtfertigte keine Auskunft des Bundesrates.» Die Berset-Abteilung (EDI) antwortete auf Medienanfragen erst eine Woche nach der Reise mit einer kurzen Stellungnahme. Der Bundesrat sei alleine gereist, hieß es. Privatangelegenheit.
Demnach dürften Mitglieder der Landesregierung erst durch die Medien erfahren haben, in welche missliche Lage sich ihr Genosse Berset in Frankreich manövriert hatte.
Pokerface
Erst klebt es, dann schweigt es: Es scheint ein Muster für den Freiburger zu sein. The Hidden Odyssey ist nicht Bersets erstes Versteckspiel. Ein weiteres Beispiel: Am 18. Mai 2022 hielten Energieministerin Simonetta Sommaruga (62) und Portfoliomeister Ueli Maurer (71) nach der gemeinsamen Bundesratssitzung eine Pressekonferenz in Bern ab. Thema war das Rettungspaket für die Elektroindustrie.
Was die Landesregierung nicht wusste: Bersets rechte Hand, der damalige Medienchef Peter Lauener (52), war zu diesem Zeitpunkt seit 24 Stunden im Zürcher Untersuchungsgefängnis. Ein Sonderermittler wirft ihm vor, im Zusammenhang mit der Krypto-Affäre gegen das Amtsgeheimnis verstoßen zu haben. Für Berset und Lauener gilt die Unschuldsvermutung.
Auf Nachfrage zeigte sich der Sprecher von Maurer und Sommaruga diplomatisch: Zu Personalangelegenheiten aus anderen Ressorts werde in der Regel nicht Stellung genommen. Ermittlungen zeigen jedoch, dass der Innenminister es nicht für notwendig hielt, die gesamte Kommission über den brisanten Vorgang seines Mitarbeiters zu informieren. Es heißt, ein Mitglied des Bundesrates sei ausser Acht gelassen worden, der davon aus der Presse erfahren musste.
Während Berset gegenüber der Regierung ein Pokerface zeigte, zogen seine Leute hinter den Kulissen eifrig an den Fäden, um seinen wichtigen Mitarbeiter wieder freizulassen. Denn Lauener war mehr als Bersets Medienchef. Die zweijährige Pandemie hat die beiden zusammengeführt, sie zu Kampfpartnern gemacht.
Regierungsmitglieder trennen sich
Lauener wurde erst am 22. Mai freigelassen, pünktlich zum Beginn des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos GR. Dort hatte sein Chef einen engen Zeitplan; Geplant seien Gespräche mit den Präsidenten von Kolumbien und Simbabwe, Treffen mit den Staats- und Regierungschefs von Tunesien und dem Kosovo sowie die Teilnahme an einer Debatte über globale Gesundheit. Man kann nur vermuten, dass der Leiter der Kommunikationsabteilung vom strengen Haftregime gezeichnet war. Jedenfalls verzichte der seiner Mission so bewusste Innenminister „auf Medienauftritte am WEF“, hieß es kurz.
Zwei Wochen später wurde Lauener gekündigt, und die Öffentlichkeit süchtig nach einem kurzen Text, der wenig mit der Realität zu tun hat: „Der ehemalige Journalist und Kommunikationsspezialist will sich beruflich neu orientieren“, teilte das Bauamt mit 8. Juni.
Die Intransparenz gegenüber den Bundesräten sagt etwas über das vorherrschende Selbstverständnis aus. Und erst recht über die Stimmung einer Regierung, deren Mitglieder sich nach der durch die Pandemie erzwungenen Solidarität zunehmend trennen. Eine Vision, die heute viele Mitglieder des National- und des Ständerats teilen. Man sehe, Bundesräte trauten sich nicht mehr, die Wege zu kreuzen, sagt SVP-Aussenpolitikchef Roland Rino Büchel (56, SG). „Das Schlimme ist, dass dieses gegenseitige Misstrauen berechtigt erscheint. Dieser Körper durchläuft eine schwierige Phase.“
“Ich werde Berset nicht im Winter zum Bundespräsidenten wählen”
FDP-Staatsminister Damian Müller (37) betont, dass der Grundsatz „privat ist privat“ gilt. “Aber diese Vorfälle haben sicherlich auch eine politische Seite, und deshalb hätte Berset seine Kameraden informieren müssen.” Geheimhaltung ist laut Luzern ein Symbol für die Stimmung im Bundesrat.
Die Flucht des EDI-Chefs provoziert auch Unmut in der Verwaltung. Ein hochrangiger Regierungsbeamter sagt gegenüber SonntagsBlick: „Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die nächsten Herausforderungen der Nation zu meistern: Inflation, Energiekrise, Flüchtlinge. Ich habe Kollegen im Büro, die selten eine Kaffeepause machen. Und der Innenminister bekommt einen stillen Touristen geschenkt.“ Flug “.
Es gibt bürgerliche Parlamentarier, die Alain Berset nicht im Dezember zum Präsidenten wählen wollen. Denkbar ist deshalb, dass sie dem Gesundheitsminister mit einem schlechten Ergebnis eine symbolische Ohrfeige verpassen: «Ich werde Berset im Winter nicht zum Bundespräsidenten wählen», sagt SVP-Nationalrat Büchel heute. „Und ich wäre nicht überrascht, wenn einige der SP-Leute, die fähig und ehrgeizig genug sind, überlegen würden, ob ihre Zeit gekommen ist.“