HSG-Professor Andreas Herrmann über die Mobilität der Zukunft
„In 15 Jahren gibt es in den Städten keinen Individualverkehr mehr“
Andreas Herrmann, Experte für autonomes Fahren und Verkehrswandel, sagt im Interview, dass die Schweiz diesbezüglich mehr tun kann und befürchtet, dass sie sonst trotz guter Ausgangslage eine Chance verpasst.
Gepostet: 17:37 Uhr
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Aktualisiert: 6:41 Uhr
Herr Herrmann, alle reden vom autonomen Fahren. Wann werden wir endlich mit einem Fahrer abgeholt? Andreas Herrmann: Sofort! Ab Deutschland gibt es erstmals gesetzliche Grundlagen, bei Mercedes ein Level-3-System, ab Herbst setzt Mobileye 25 vollautonome Taxis in München ein, ab 2023 in Paris, New York und weiteren Städten erstmals automatisches Fahren im Alltag.
Wie sieht es mit dem autonomen Fahren in der Schweiz aus? Wir könnten mehr tun! Seit sechs Jahren fahren hier einige Kleinbusse in verschiedenen Pilotprojekten. Wir haben viele kleine Projekte, aber der große Erfolg fehlt noch.
Laut früheren Ankündigungen der Autoindustrie würden wir jetzt autonom fahren. Warum dauert es so lange? Es gibt viele Gründe. Zum einen die Rechtslage. Deutschland hat jetzt den Ausstieg geschafft, vorher gab es nur Sondergenehmigungen. Ein weiterer Grund ist, dass der Business Case fehlt, denn das ist Neuland für Autobauer: Menschen verbringen jährlich 600 Milliarden Stunden im Auto, Amazon oder Netflix sind verfügbar. Nicht zuletzt zögern auch die Kunden.
Viele Experten sagen: Irgendwann dürfen wir nicht mehr selbst fahren, das könnte passieren. Mindestens 90 Prozent aller Unfälle sind auf menschliches Versagen zurückzuführen. Automatisches Fahren kann die Zahl und Schwere von Unfällen stark reduzieren. Wir erleben es bereits jeden Tag mit immer besseren Assistenzsystemen.
Autonom oder nicht, viele Städte verbieten Autos. Hat das Privatauto noch eine Zukunft? In manchen Gesellschaften ja, zum Beispiel in China oder Indien: Sie sind gerade in die Ära des Autos eingetreten. Es hat ein Auto gegeben. Aber schon jetzt stellt sich die Frage: Sollen wir Privatfahrzeuge überhaupt in Städte einfahren lassen? Meine Prognose: In 15 Jahren werden wir fast keinen Individualverkehr mehr in die umliegenden Städte haben. Auf dem Land ja, aber in den Städten muss man umsteigen.
Mitarbeiter: Andreas Herrmann
Andreas Herrmann (57) ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und leitet das Institut für Mobilität an der Universität St. Gallen (IMO-HSG) für anderthalb Jahre. Zuvor war er unter anderem seit 2002 bei Audi an der HSG und hat 15 Bücher zu Themen wie autonomes Fahren, Multimodalität (Verknüpfung von Verkehrsmitteln) und Mobilitätsrevolution veröffentlicht. Seine jüngste Arbeit als Co-Autor trägt den Titel „Mobilität für alle … auf Knopfdruck“ und zeigt, wie uneingeschränkte Mobilität in Zukunft klimafreundlich gestaltet werden könnte.
HSG-Professor Andreas Herrmann (57) gilt als einer der anerkanntesten Experten für die Mobilität der Zukunft.
zVg
Andreas Herrmann (57) ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und leitet das Institut für Mobilität an der Universität St. Gallen (IMO-HSG) für anderthalb Jahre. Zuvor war er unter anderem seit 2002 bei Audi an der HSG und hat 15 Bücher zu Themen wie autonomes Fahren, Multimodalität (Verknüpfung von Verkehrsmitteln) und Mobilitätsrevolution veröffentlicht. Seine jüngste Arbeit als Co-Autor trägt den Titel „Mobilität für alle … auf Knopfdruck“ und zeigt, wie uneingeschränkte Mobilität in Zukunft klimafreundlich gestaltet werden könnte.
Automatische Abonnements werden angezeigt. Nur ein kurzer Hype oder ein nachhaltiger Trend? Die Gesetzgebung könnte den Besitz eines eigenen Autos weniger attraktiv machen. Städte sind beispielsweise tabu, und dann macht ein Abo mehr Sinn als ein eigenes Auto. Vor allem, weil die jüngere Generation nicht mehr an das eigene Auto gebunden ist. Ich persönlich habe samstags immer noch das Auto meines Vaters geputzt, aber meine Kinder haben nicht im Entferntesten daran gedacht.
Es scheint, dass die Schweiz vorsichtig auf die Mobilitätswende wartet … und ich finde diese Haltung des Abwartens und Abwartens riskant. Vergleichen Sie mit Israel: ähnliche Einwohnerzahl, ähnlicher Bildungsstand und dank Förderung mehr als 600 aufstrebende Unternehmen im Mobilitätssektor entstanden. Es geht nicht darum, ob Israel eine bessere Mobilität haben wird, sondern darum, wohin die Mobilitätsindustrie geht. Wir haben mit SBB, ETHZ und EPFL eine grosse Chance, die wir nutzen sollten.
Soll der Bundesrat also die Mobilitätsbranche fördern? Wir hätten alle Zutaten für diese Billiardenindustrie. Aber wir müssen uns entscheiden, ob wir teilnehmen wollen. Akteure – etwa Städte, Technologieunternehmen oder die Autoindustrie – müssen zusammenkommen, sonst geht es nicht. Niemand kann es alleine schaffen. Als Koordinator wird hier das Bundesamt für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) benötigt.
Sein neues Buch (siehe Kasten) betont die Bedeutung der Mobilität für das wirtschaftliche Wohlergehen. Gibt es Lösungen für das Dilemma Mobilität versus Umweltschutz Wir brauchen Mobilität für alle und genau deshalb müssen wir umsteuern! In der Schweiz hat unsere Supermobilität wirtschaftliche Auswirkungen wie hohe Einkommen und tiefe Arbeitslosigkeit. Mobilität aufzugeben ist daher keine Option, weshalb Mobilität grüner werden muss: Ein Viertel der CO₂-Emissionen stammt aus dem Verkehr. Dank neuer Technologien ist jetzt die Chance für eine Mobilitätsrevolution da. Wir nutzen diese Intelligenz, anstatt immer mehr Infrastruktur aufzubauen.
Dürfen wir in zehn Jahren noch in Städte wie Basel, Bern oder Zürich fahren? Der Klimawandel betrifft auch uns in diesen Tagen. Wir brauchen Flächen für Parks statt Parkplätze. Wenn die Schweiz beim Klimaschutz kein Vorbild ist, wer dann?
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