Nur zehn Wochen nach dem Scheitern der Impfpflicht im Deutschen Bundestag drängen mehrere Bundesländer auf einen neuen Versuch. „Ich bedauere nach wie vor, dass sich der Bundestag nicht auf eine Impfpflicht einigen konnte“, sagte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) dem Deutschen Verlagsnetzwerk.
Bayern will sich nun gemeinsam mit Hessen und Baden-Württemberg auf der Gesundheitsministerkonferenz kommende Woche für eine Kronen-Impfpflicht ab 60 Jahren stark machen. Aufrufe zur Impfung seien wichtig, „aber letztlich ist die Impfpflicht der schnellste Weg aus der Pandemie“, sagte Holetschek. Auch Thüringen feiert laut WELT-Berichten den Durchbruch.
Von links: Die Regierungen von Winfried Kretschmann (Grüne), Markus Söder (CSU) und Boris Rhein (CDU) rücken vor
Quelle: F. Sommer/pa/dpa; F. Hörmann / pa / p. Simon; J. Krick / pa / Flashpic; Desifoto / J. DawnInk/Getty Images; Redaktion: WELT-Infografiken
Ein Querschnittsentwurf zur generellen Impfpflicht zunächst ab 60 Jahren ist im Bundestag Anfang April klar gescheitert. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) machte daraufhin deutlich, dass er keine Grundlage für einen neuen Versuch sehe. Der Vorstoß der drei Bundesländer Bayern unter Führung der CSU, Hessen unter Führung der CDU und Baden-Württemberg unter Führung der Grünen zeigt sich irritiert über die Ampelspiele.
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„Ich halte es für Hyperaktionismus, Impfpflichten ab 60 Jahren wieder zu fordern“, sagt Andrew Ullmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Die Durchimpfungsrate liegt derzeit bei 80 Prozent, und Omicron-Infektionen führen nur selten zu schweren Verläufen. Zudem gab es im Bundestag keine parlamentarische Mehrheit für die Impfpflicht ab 60 Jahren.
„Dass einige Bundesländer es jetzt durch die Hintertür beweisen wollen, ist kein klarer Ansatz. Vor allem, weil es die Union war, die eine Einigung mit parteiischer Taktik verhindert hat. Ich finde es heuchlerisch, nicht tragfähig und populistisch, dass es jetzt alle wollen.“ einen neuen Anlauf zu starten”, sagte Ullmann. Eine verbesserte Impfkampagne gegen Covid und die Grippe ist im nächsten Winter erforderlich.
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Auch die Bundestagsfraktion der Grünen, die im April für eine generelle Impfung ab 18 Jahren gestimmt hatte, zögert von einem erneuten Versuch. „Es stimmt, dass wir in Deutschland immer noch eine zu niedrige Impfquote für ältere Menschen und Risikogruppen haben. Das birgt die Gefahr eines ernsthaften Rennsports“, sagt gesundheitspolitischer Sprecher Janosch Dahmen. Daher halte ich es für sinnlos, noch einmal über eine Impfpflicht zu diskutieren.“
Auch die Oppositionsfraktion der Union im Bundestag hält nichts von dem Vorstoß der Parteigenossen der Länder. „Aus gutem Grund gab es im Bundestag keine Mehrheit für die Impfpflicht. Die rechtlichen und wissenschaftlichen Zweifel waren und sind erheblich“, sagt gesundheitspolitischer Sprecher Tino Sorge WELT.
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„Inmitten der Sommerwelle und unmittelbar vor dem Ende der kostenlosen Bürgerversuche sollten die CDU/CSU-Landesgesundheitsminister auf ganz konkrete Schutzmaßnahmen setzen, anstatt die polarisierende Debatte um die Impfpflicht für Menschen über 60 wieder aufzunehmen.“ sagt Kathrin Vogler, Sprecherin der linken Gesundheitspolitik.
„Es ist nicht ungewöhnlich, dass Entscheidungen nach einigen Monaten außer Kraft gesetzt werden“
Auf der Gesundheitsministerkonferenz kommende Woche dürfte die Initiative keine Mehrheit finden. Vor allem in den SPD-geführten Bundesländern mischt sich Spaß und Wut. „Die bayerischen und hessischen Krokodilstränen über die versäumte Impfpflicht ab 60 Jahren dürften Sie ein wenig überraschen“, sagt Niedersachsens Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) gegenüber WELT.
„Wie die meisten Bürgerinnen und Bürger erinnere ich mich noch sehr gut daran, dass der entsprechende Antrag an den Bundestag damals vor allem an der aus CDU und CSU gebildeten Unionsfraktion gescheitert ist.“ Ein neuer Anlauf im Bundestag, so Behrens heute, sei angesichts der unveränderten Mehrheit jedoch “wenig erfolgversprechend”.
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Heiner Garg, FDP-Gesundheitsminister in Schleswig-Holstein, sagt: Infos und Angebote.“
Auch zwischen Juristen und Wissenschaftlern gibt es Zweifel. “Der Bundestag kann seine eigenen Entscheidungen rechtlich überprüfen”, sagt Volker Böhme-Neßler, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Oldenburg. “Allerdings ist es in der politischen Praxis unüblich, Entscheidungen nach einigen Monaten zu kippen.” Vor allem, wenn der Anstoß nur von wenigen Bundesländern kommt und nicht vom Bundestag oder der Bundesregierung selbst.
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Für eine erneute Entscheidung bräuchte es „gute Gründe“, insbesondere im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit. Ist die Impfpflicht als tiefgreifender Eingriff in die Grundrechte geeignet, die ohnehin schon hohe Durchimpfungsrate bei älteren Menschen deutlich zu erhöhen? „Wenn diese Frage nicht mit einem klaren Ja beantwortet werden kann, wäre die Impfpflicht eine verfassungswidrige Symbolpolitik“, warnt Böhme-Neßler.
Virologe Jonas Schmidt-Chanasit von der Universität Hamburg weist auf ein weiteres Problem hin: „In Deutschland wissen wir nicht, wie groß unsere Immunlücke ist. Wir wissen also nicht genau, wer nicht geimpft oder genesen ist.“ Solange der Politik diese Daten nicht zur Verfügung stehen, ist eine Impfpflicht schwer zu rechtfertigen.
“Ich denke nicht, dass es ernst ist, jetzt zu entscheiden, was im Herbst zu tun ist”
Kroneninfektionen in Deutschland sind wieder auf dem Vormarsch. FDP-Gesundheitsexperte Andrew Ullmann glaubt jedoch nicht, dass die Maßnahmen zum jetzigen Zeitpunkt verschärft werden sollten. Stattdessen sollten Sie zunächst die Daten auswerten und dann die Maßnahmen für den Herbst besprechen.
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