Nach Informationen der dpa des Abends dürfte sich die von Ursula von der Leyen geführte Behörde dafür einsetzen, der Ukraine und Moldawien den Status von EU-Beitrittskandidaten zu verleihen. Gleichzeitig sollte nach Informationen aus Kommissionskreisen deutlich gemacht werden, dass weitere Fortschritte im Beitrittsprozess an bestimmte Bedingungen geknüpft werden müssen. Daher ist die Ukraine besorgt über Fortschritte bei der Rechtsstaatlichkeit und der Korruptionsbekämpfung.
Außerdem wird es Empfehlungen und Analysen zu den Beitrittsanträgen Moldawiens und Georgiens geben. Nach Angaben der Kommission wird Georgien der Kandidatenstatus nur zuerkannt, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Wie Bosnien und Herzegowina und Kosovo wäre das Land zunächst nur ein potenzieller Beitrittskandidat.
Die Meinungen in den EU-Ländern sind sehr unterschiedlich
Nach der Empfehlung der EU-Kommission müssen die EU-Staaten entscheiden, wie sie vorgehen. Bisher waren die Ansichten der Regierungen zu diesem Thema sehr unterschiedlich. Länder wie Portugal und die Niederlande halten laut Diplomaten die Verleihung des Kandidatenstatus an die drei osteuropäischen Staaten für verfrüht und rein symbolisch.
Derweil haben sich Bundeskanzler Olaf Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron am Donnerstag in Kiew dafür ausgesprochen, dass die Ukraine Beitrittskandidat wird. Deutschland und Frankreich argumentieren, dass der Bewerberstatus weder die Zulassungsentscheidung vorsehe, noch an eine Frist geknüpft sei. Beispielsweise ist die Türkei seit 1999 Beitrittskandidat.
Scholz erwähnt auch Rechtsstaatlichkeit und Korruption
Scholz sagte am Donnerstagabend dem „heute journal“ des ZDF, der Weg der Ukraine in die EU sei „sehr anspruchsvoll“ und könne auch „sehr lange dauern“. Der Status eines Beitrittskandidaten bedeutet jedoch, dass die Hoffnung auf dem Weg nach Europa für die Menschen in der Ukraine konkret wird. Zum zeitlichen Horizont sagte der SPD-Politiker, das könne niemand ernst nehmen. “Aber es lohnt sich, das ist die Botschaft.”
Schaidreiter (ORF) aus Brüssel
Nach dem Besuch Deutschlands, Frankreichs und Italiens in der Ukraine hat die EU-Kommission am Freitag ihre Empfehlung veröffentlicht, ob der Ukraine der Status eines Kandidatenlandes zuerkannt werden soll. ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter berichtet aus Brüssel.
Im ZDF und in der ARD nannte Scholz Fortschritte bei der Rechtsstaatlichkeit und der Korruptionsbekämpfung als Voraussetzungen für eine EU-Mitgliedschaft. Scholz und Macron reisten am Donnerstag mit dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi und dem rumänischen Präsidenten Klaus Iohannis nach Kiew.
Auch Rumäniens Staatschef Johannis will, dass Moldawien und Georgien Kandidatenstatus erhalten. „Die Sicherstellung des EU-Kandidatenstatus für die Ukraine, Moldawien und Georgien auf dem Europäischen Rat nächste Woche ist wesentlich, um einen starken und dauerhaften Schutzschild um unsere Werte herum aufzubauen“, sagte er zu Kiew.
Selenskyj: Historischer Tag
Nach dem Treffen sprach der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Abend in seinem Video von einem “historischen Tag” für sein Land. Die Ukraine war der Europäischen Union seit ihrer Unabhängigkeit noch nie so nahe. Dank des Mutes der Ukrainer und Frauen könne Europa eine neue Freiheitsgeschichte schreiben, “und endlich die Grauzone zwischen der EU und Russland in Osteuropa beseitigen”.
Kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges am 24. Februar beantragte die Ukraine die EU-Mitgliedschaft. Die EU-Staaten haben daraufhin die EU-Kommission beauftragt, sich damit zu befassen und eine Empfehlung abzugeben. Die Entscheidung der EU-Staats- und Regierungschefs über den Beitrittsantrag der Ukraine könnte bereits beim nächsten Gipfel getroffen werden, der am kommenden Donnerstag in Brüssel beginnt.
Österreich stellt Auflagen
Österreich will den EU-Beitrittskandidatenstatus der Ukraine nur unter bestimmten Bedingungen akzeptieren. „Wir müssen dafür sorgen, dass die gleichen Standards gelten wie für andere Bewerber auf dem Westbalkan. In diesem Zusammenhang wäre es für mich undenkbar, der Ukraine den Kandidatenstatus zu verleihen und gleichzeitig Länder wie Bosnien und Herzegowina im Abseits zu halten. Das sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) der deutschen Zeitung Welt.
Bosnien und Herzegowina hatte bereits Anfang 2016 einen Beitrittsantrag gestellt und gilt seit Jahren nur noch als „potenzieller Beitrittskandidat“. Eine Empfehlung der Europäischen Kommission, der Ukraine den Kandidatenstatus zu verleihen, wird heute erwartet. Die Entscheidung der Staats- und Regierungschefs muss einstimmig erfolgen.
“Keine Doppelmoral”
„Was einen möglichen EU-Beitrittskandidatenstatus betrifft, möchte ich festhalten, dass es klare und festgelegte Kriterien gibt, die lückenlos erfüllt werden müssen. Es darf keine Doppelmoral geben, auch nicht bei Beitrittskandidaten erster und zweiter Klasse“, sagte Nehammer.
In die gleiche Richtung wie die Bundeskanzlerin schlug Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) die “Kleine Zeitung”. „Es ist unbestritten, dass die Ukraine ein europäisches Land ist und unsere Werte verteidigt. Aber es gibt keine Abkürzungen auf dem Weg in die EU. Es sollte auch keine zwei Klassen von Bewerbern geben“, sagte Edtstadler. Er verwies auch auf Albanien, Nordmazedonien und den Kosovo, die auf den nächsten Schritt im Erweiterungsprozess warten.
Der Westbalkanstaat Bosnien und Herzegowina hatte bereits Anfang 2016 einen Beitrittsantrag gestellt und gilt seit Jahren nur noch als „potenzieller Beitrittskandidat“. Nehammer betonte, es sei unbestreitbar, dass die Ukraine „ein Teil der europäischen Familie“ sei.