Stand: 24.06.2022 14:33 Uhr
Auf Einladung der Bundesregierung soll eine Konferenz Wege aus der sich verschärfenden Ernährungskrise finden. Außenminister Baerbock sprach von einer „lebensbedrohlichen Welle“ und erhob schwere Vorwürfe gegen Russland.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock wirft Russland vor, „den Welthunger gezielt als Kriegswaffe einzusetzen“. Russland “nimmt die ganze Welt als Geisel”, sagte Baerbock zum Auftakt einer internationalen Ernährungskonferenz in Berlin.
345 Millionen Menschen weltweit seien derzeit von Nahrungsmittelknappheit bedroht, die Hungerkrise baue sich “wie eine lebensbedrohliche Welle vor uns auf”, sagte der Grünen-Politiker. Einige der Gründe sind nicht neu: regionale Konflikte, Dürren, die Folgen der Klimakrise und des Covid-19. Aber es war der Krieg in Russland, der “aus dieser Welle einen Tsunami gemacht hat”.
Baerbock und Blinken: Moskaus einziger Fehler
Baerbock kritisierte Russland dafür, dass es versucht habe, „anderen die Schuld an den Lebensmittelpreisen zu geben“, aber das seien „Falschnachrichten“. Die Moskauer Regierung ist allein verantwortlich. Russland blockiert Häfen und Scheunen; Es gibt auch keine Sanktionen gegen russische Getreideexporte.
US-Außenminister Antony Blinken äußerte sich auf der Konferenz ähnlich. Russland „lässt die Lebensmittelpreise absichtlich explodieren (…), um ganze Länder zu destabilisieren“. Es gebe keinen anderen Grund für weltweit steigende Lebensmittelpreise als Russlands Blockade der ukrainischen Schwarzmeerhäfen und Moskaus Beschränkungen seiner eigenen Exporte, fuhr Blinken fort. Russland handle aus “politischen Gründen”.
Die Exporte der Ukraine müssen beschleunigt werden
Baerbock sagte, die Berliner Konferenz wolle Solidarität mit der Ukraine und den Menschen des globalen Südens zeigen, die unter dem Russlandkrieg leiden. “Wir müssen Lösungen anbieten.” Eines der Ziele ist es, Lebensmittelexporte aus der Ukraine zu „beschleunigen“.
Sie hofft, dass das Getreide seit Juli täglich zurück in die Ukraine exportiert werden kann. Angesichts des russischen Angriffskrieges gehe es darum, dauerhafte Alternativrouten für den Export aus dem blockierten Hafen von Odessa zu finden, sagte Baerbock. Eine Möglichkeit ist der Landweg durch Rumänien und die Binnenschifffahrt auf der Donau. Auf dieser Strecke wird bereits das Getreide transportiert. Auch DB Cargo ist an der Umsetzung beteiligt.
Die Bundesregierung unterstützt die Bemühungen der Türkei, einen Weg zur Befreiung der blockierten Häfen zu finden. Baerbock lehnte die erste Forderung der Ukraine an die Ukraine ab, Häfen zu säubern.
“Irgendwie den Tsunami kontrollieren”
Der Außenminister sagte, man rede auch von einer dringenden Aufstockung der Nothilfe für Hungerkranke. Baerbock forderte die internationale Gemeinschaft auf, entschlossen gegen die sich verschärfende Welthungerkrise vorzugehen. „In diesem Jahr werden mehr als 44 Milliarden Euro benötigt, die nur zur Hälfte finanziert sind“, sagte er. Die Lage ist sehr dramatisch.
Aber die Konferenz ist keine Geberkonferenz, es geht nicht nur um Geld. Auch „Thinking beyond the day“ steht auf der Agenda: Die ärmsten Länder müssen sich besser gegen Krisen wappnen. Es gehe darum, “diesen Tsunami irgendwie unter Kontrolle zu haben”.
„Die schlimmste Hungersnot seit Ende des Zweiten Weltkriegs“
Die Konferenz findet auf Einladung von Baerbock, Entwicklungsministerin Svenja Schulze und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir statt. Schulze erklärte, dass normalerweise etwa 400 Millionen Menschen weltweit Lebensmittel aus der Ukraine erhalten würden. In vielen Ländern blieben diese Lieferungen aus, und noch mehr Länder litten unter hohen Weltmarktpreisen durch den Krieg in der Ukraine. “Wie immer sind es die Ärmsten, die am meisten leiden.”
„Wenn wir jetzt nicht gegensteuern, droht die schlimmste Hungersnot seit dem Zweiten Weltkrieg“, sagte Schulze. Neben finanziellen Hilfen müssten beispielsweise die Agrarsysteme der ostafrikanischen Länder verändert werden, „damit die Menschen wieder aufstehen können“, betonte Schulze.
Özdemir: „Zeigen, was in uns steckt“
Die Bundesregierung habe die Konferenz weltweit eingeladen, das Interesse habe alle Erwartungen übertroffen, sagte Baerbock. In Berlin sitzen 40 Minister, Vertreter der Vereinten Nationen und der Zivilgesellschaft und besonders betroffener Länder, etwa Vertreter der Ukraine, Nigerias, Tunesiens und Indonesiens. Das Treffen dient auch der Vorbereitung des G7-Gipfels am Sonntag im bayerischen Elmau. Konkrete finanzielle Zusagen sind auf der Berliner Konferenz nicht zu erwarten.
Özdemir forderte vom nächsten Gipfel ein “starkes Signal” gegen den Welthunger. Der Kampf um Ernährungssicherung müsse klima- und artengerecht angegangen werden, sagte er.
Der grüne Politiker sprach von einem “mehrdimensionalen Krieg” des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Sie wollen die Ukraine militärisch besiegen, einen Hungerkrieg gegen den globalen Süden und einen Energiekrieg gegen die Europäische Union führen. „Deshalb lautet die heutige Botschaft: Wir lassen uns von Putin nicht einschüchtern. Jetzt geht es darum, zu zeigen, was in uns steckt.“