Das neue links-grüne Bündnis Nupes, angeführt vom Linken Jean-Luc Mélenchon, gewann 131 Sitze im Parlament und ist damit die stärkste Oppositionskraft. Für eine absolute Mehrheit sind mindestens 289 Sitze erforderlich. Die rechtsgerichtete Partei Rassemblement National verzeichnete ein starkes Wachstum, wobei ihre Spitzenkandidatin Marine Le Pen in der letzten Runde der Präsidentschaftswahl gegen Macron verlor. Sie gewann mit 89 Sitzen elfmal mehr als zuvor und ist damit drittstärkste Partei im Parlament.
Die bisher stärkste Oppositionskraft im Parlament und die traditionelle konservative und verbündete Republikanische Volkspartei gewannen nur 74 Sitze, ein großer Verlust. Die Wahlbeteiligung erreichte einen Tiefstand von 46,23 Prozent.
In einer ersten Reaktion auf die Projektionen bekräftigte Mélenchon seinen Anspruch auf Regierungsverantwortung. “Alle Optionen liegen in deiner Hand”, rief er vor jubelnden Fans in Paris. „Das ist ein totales Debakel der Präsidentenpartei“, sagte er. Auch Mélenchon sprach von einer “Wahlniederlage des Makronismus”.
Macrons Premierministerin Elisabeth Borne will versuchen, eine mögliche Koalition zu finden. „Als zentrale Kraft in der Nationalversammlung haben wir eine besondere Verantwortung. Ab morgen werden wir daran arbeiten, eine handlungsfähige Mehrheit aufzubauen“, sagte Borne am Sonntagabend in Paris. “Wir haben alles, was wir brauchen, um erfolgreich zu sein, und wir werden es gemeinsam erreichen.” Borne stand lange Zeit den Sozialisten nahe und trat 2017 der vom Liberalen Macron neu gegründeten Partei bei, die zunächst La République en Marche hieß.
Erstmals seit mehr als 30 Jahren steht der französische Präsident ohne absolute parlamentarische Mehrheit da und muss sich mit seiner Regierung die Unterstützung anderer Lager sichern. Das Regieren mit Koalitionen durch das eigene politische Feld und mit Verpflichtungen ist in Frankreich weniger verbreitet als in anderen europäischen Ländern. Für eine mögliche Koalition oder Kooperation muss die Präsidentenpartei nun auf potenzielle Partner im Parlament zugehen.
„Heute Abend haben wir eine neue Situation“, sagte Borne. Diese Situation ist angesichts nationaler und internationaler Herausforderungen ein Risiko für das Land. Aber wir müssen das Ergebnis respektieren und verantwortungsvoll handeln. “Die Franzosen fordern uns auf, uns im Interesse des Landes zusammenzuschließen.”
Gleichzeitig nannte der Ministerpräsident die Prioritäten der künftigen Regierung. Ab Sommer soll es starke und konkrete Maßnahmen geben, um die Kaufkraft der Franzosen zu stärken. Vollbeschäftigung und ökologischer Wandel sind oberste Priorität, die Schule und das Gesundheitssystem müssen verbessert werden. Weitere Prioritäten sind Frankreichs Souveränität im Energie- und Lebensmittelsektor. „Ich habe Vertrauen in unser Land“, sagte er.
Das Ergebnis ist ein Schlag für Macron, dessen Partei immer noch die absolute Mehrheit im Parlament hat. Parlamentswahlen, die kurz nach der Präsidentschaftswahl abgehalten werden, werden normalerweise als Bestätigung angesehen, so dass oft dieselbe politische Kraft mit absoluter Mehrheit gewinnt. Das neue Linksbündnis hingegen war enorm erfolgreich und hat als mächtigere Oppositionsgruppe an Einfluss gewonnen.
Die Nationalversammlung werde „die größte Gruppe in der Geschichte (seiner) politischen Familie“ in der Nationalversammlung bilden, sagte Le Pen angesichts des spektakulären Wachstums gegenüber Hénin-Beaumont. Parteichef Jordan Bardella sprach seinerseits von einem “Tsunami”. Party. „Das französische Volk hat Emmanuel Macron zu einem Minderheitspräsidenten gemacht“, sagte er gegenüber TF1. Die RN sollen erstmals eine eigene Fraktion bilden, also mehr Geld und mehr Redezeit bekommen. Der Vorgängerpartei Front National gelang dies zuletzt durch eine Änderung des Wahlgesetzes im Jahr 1986. Die langjährige Parteichefin Marine Le Pen dürfte nun Vorsitzende der Fraktion werden.
Die Macron-Regierung könnte sich bei ihrer Suche nach parlamentarischer Unterstützung nun stärker an bürgerlich-konservative Republikaner wenden. Der Vorsitzende seiner Partei, Christian Jacob, hat sie bereits zurückgewiesen. „Wir sind in der Opposition und wir sind immer noch in der Opposition“, sagte er.
Bei der Parlamentswahl machte sich Macron Sorgen, ob er seine Pläne in seiner zweiten Amtszeit durchsetzen könnte. Deshalb braucht er eine Mehrheit im Parlament. Mit nur noch relativer Mehrheit sind Präsident und Regierung gezwungen, sich Unterstützung aus anderen Lagern zu suchen. Zuletzt gab es eine solche Regierung unter François Mitterrand (1988-1991).
Obwohl viele Franzosen mit Macrons erster Amtszeit unzufrieden waren, profitierte der 44-Jährige wohl davon, dass Parlamentswahlen in Frankreich als Bestätigung der Präsidentschaftswahl wahrgenommen wurden. Traditionell nehmen Anhänger des Gewinners an der Abstimmung teil, während andere oft zu Hause bleiben.
Nachteil des Linksbündnisses war das komplizierte Wahlsystem, das teilweise gravierende Unterschiede zwischen Stimmenanteil und Sitzverteilung verursachte. Am Ende zählen nur die Stimmen des Siegers des jeweiligen Wahlkreises.
Trotz nur einer relativen Mehrheit für das Macron-Lager wird Europa schließlich weiterhin Frankreich als verlässlichen Partner haben. Im Ukraine-Konflikt wird Frankreich zweifellos ein fester Bestandteil der westlichen Einheitsfront gegen den Aggressor Russland bleiben.
In Frankreich stehen wichtige Projekte an: Verbesserungen im Bildungs- und Gesundheitssystem werden gefordert, die Menschen warten auf Kaufkrafthilfen in der Krise und viele wollen energischere Schritte in der Klimakrise. Zudem will Macron auf eine umstrittene Rentenreform drängen, die Franzosen sollen länger arbeiten.
Die Wahl war auch ein Fernduell zweier sehr unterschiedlicher Politiker. Auf der einen Seite der eloquente Präsident und ehemalige Investmentbanker Macron, 44 Jahre alt. Auf internationaler Bühne tritt er als souveräner Anführer auf, auf nationaler Ebene kämpft er mit dem Image eines arroganten Elite-Politikers. Ihm gegenüber stand der linke Veteran Mélenchon, ein gewiefter linker Ideologe und Stratege, der sich selbst als Verteidiger des Volkes und der sozialen Gerechtigkeit sieht.