Massenfischsterben in Oder: Hohe Quecksilberwerte in Wasserproben: Deutsche Behörden in Polen nicht über Giftfund informiert

Überall am Ufer liegen tote Fische. Die Kadaver schwimmen bäuchlings auf der Wasseroberfläche. Im Internet kursieren verheerende Bilder und Videos von der Oder. Sie dokumentieren das massenhafte Fischsterben im Grenzfluss, das auch für Menschen gefährlich werden könnte und nun die deutsch-polnische Nachbarschaft belastet. Denn östlich der Oder waren die Probleme schon länger bekannt.

Nachdem am Mittwoch zunächst die Stadt Frankfurt (Oder) Alarm geschlagen hatte, warnten am Donnerstag auch die brandenburgischen Landkreise Oder-Spree, Märkisch-Oderland, Barnim und Uckermark vor einer Gesundheitsgefährdung durch den Kontakt mit dem Wasser der Oder. „Aktuell ist in der gesamten Oder ein Fischsterben zu beobachten“, teilte die Regionalleitstelle Oderland am Donnerstagmorgen über die Katwarn-Katastrophenschutz-App mit.

Solange nicht klar ist, um welche Stoffe es sich handelt und in welcher Konzentration sie in der Oder und ihren Nebenflüssen vorkommen, ist das Baden in der Oder nicht erlaubt. Außerdem sollten die Bürger dem Grenzfluss und seinen Nebenflüssen kein Wasser entnehmen, fischen, Fische aus dem Wasser essen oder Tiere daraus trinken lassen.

Das Fischsterben in der Oder hatte in den vergangenen Tagen Fischer und Behörden in Brandenburg an der Grenze zu Polen beunruhigt. Auch das Landeskriminalamt Brandenburg (LKA) ermittelt wegen des Fischsterbens im Grenzfluss. Das Landeskriminalamt habe eine Wasserprobe genommen und ausgewertet, sagte eine Sprecherin des Polizeipräsidiums Potsdam am Donnerstag. Wann ein Ergebnis vorliegen wird, ist unklar.

Wie das Landesamt für Umwelt mitteilte, wurden am Dienstag Proben aus der automatischen Messstation in Frankfurt/Oder zur Analyse in das Landeslabor Berlin-Brandenburg gebracht. Die Einrichtung sei auf die Dringlichkeit der Bewertung hingewiesen worden, sagte er.

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Die Ergebnisse der ersten Analyse vom Donnerstag zeigten übereinstimmend, dass eine starke Bio-Welle durch Frankfurt an der Oder gezogen ist und sich seitdem flussabwärts fortsetzt, aktuell bis nach Schwedt. Ökosystemeffekte deuteten auf synthetische Chemikalien hin, die höchstwahrscheinlich auch für Wirbeltiere toxisch sind. Am Freitag werden nach Angaben des Ministeriums die ersten Ergebnisse der Analyse organischer Spurenstoffe erwartet.

Am Abend berichtete der RBB, Mitarbeiter des Landeslabors hätten in Wasserproben hohe Quecksilberwerte festgestellt. Die Werte sind so hoch, dass das Testergebnis nicht angezeigt werden kann und der Test wiederholt werden muss. Ob das in den Proben der Oder nachgewiesene Quecksilber ursächlich für das Massensterben der Fische ist, ist laut RBB noch nicht geklärt.

Die deutschen Behörden wurden von polnischer Seite nicht benachrichtigt

Dass die Ermittlungen so lange dauerten – und die Brandenburger erst verspätet vor einer möglichen Gefahr gewarnt wurden – liegt offenbar an der fehlenden Berichterstattung der polnischen Behörden. Polnischen Medienberichten zufolge hatten Fischer in Polen bereits Ende Juli tote Fische am Ufer gefunden. Nach Angaben der Behörden wurden inzwischen Tausende gefunden, zunächst in Niederschlesien, nun aber auch in der weiter nördlich gelegenen Woiwodschaft Lubuskie.

Berichten zufolge hatten Inspektoren der niederschlesischen Wasserbehörde bereits Ende Juli Wasserproben an drei Stellen entnommen. Anfang August teilte die Wasserbehörde Wroclaw (Breslau) mit, dass der hohe Sauerstoffgehalt des Wassers von den typischen sommerlichen Sauerstoffkonzentrationen abweicht. Es ist möglich, dass ein Stoff mit stark oxidierenden Eigenschaften ins Wasser gelangt. Außerdem wurde an zwei Stellen der Giftstoff Mesitylen nachgewiesen.

Tritt dieser Fall ein, greift der OP-Alarmplan. Die polnische Seite ist dann verpflichtet, die deutschen Behörden zu informieren. Dazu kam es laut Brandenburgischem Landesumweltamt jedoch nicht. Aus Polen sei frühestens am Mittwoch eine Meldung eingegangen, sagte ein Sprecher auf Nachfrage des Tagesspiegels. Zu diesem Zeitpunkt trieb der Fisch auch auf deutscher Seite längst tot im Wasser.

Frankfurts Oberbürgermeister sieht „Staatsversagen“

Die Zuständigkeiten seien “offensichtlich gescheitert”, sagte Frankfurts Oberbürgermeister René Wilke (Linke). Nicht nur aus Polen gab es keine Meldungen. Der Bund als Eigentümer der Bundeswasserstraße und das Land Brandenburg hätten „die aufgetretenen Probleme nicht in angemessener Zeit angegangen“.

Wilke meint auch die tausenden toten Fische, die Stadt und Landkreis Märkisch-Oderland jetzt entsorgen. Danach werde ich klar um Antworten bitten. „Das ist aus meiner Sicht ein Staatsversagen, das nicht folgenlos bleiben kann“, sagte Wilke.

Brandenburgs Umweltminister ist kritisch

Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) kritisierte die zuständigen Behörden in Polen. Man habe Kontakt zur polnischen Seite, sagte Vogel am Donnerstag gegenüber Radioeins des RBB. Es wurden jedoch noch keine offiziellen Informationen über die Ereignisse in Opole veröffentlicht, die anscheinend am 27. oder 28. Juli stattgefunden haben.

Lediglich von Dritten und den Medien sei bekannt, dass in größerem Umfang Lösungsmittel freigesetzt würden, die möglicherweise mitverantwortlich für das Fischsterben seien, sagte der Minister. “Sie sehen, dass die vereinbarten Meldewege nicht eingehalten wurden und wir daher nicht viele Informationen haben, die wir haben sollten.” Es sei jedenfalls ein merkwürdiges Phänomen, dass der Sauerstoffgehalt in der Oder in den vergangenen Tagen trotz der hohen Temperaturen merklich angestiegen sei, sagte Vogel.

Die polnische Umweltbehörde geht von einer Verantwortung der Industrie aus

Am Donnerstag sagte die polnische Umweltschutzbehörde, dass das Fischsterben wahrscheinlich durch industrielle Wasserverschmutzung verursacht wurde. „Alles deutet darauf hin, dass die Verschmutzung der Oder, die zum Tod zahlreicher Fische geführt hat, industriellen Ursprungs sein könnte“, sagte die stellvertretende Leiterin der Agentur, Magda Gosk.

Die Umweltbehörde versucht, mit Drohnenüberflügen mögliche Verschmutzungsquellen zu lokalisieren und den Zustand des Flusses zu bestimmen. Man untersuche, was es mit dem Stoff auf sich habe und “vor allem, wer diesen Stoff in die Oder eingebracht hat”, sagte Gosk.

Fischerverband erwartet „mehrere Tonnen toter Fische“

Kritik kommt auch von Lars Dettmann, Landesgeschäftsführer des Fischereiverbandes Brandenburg/Berlin. „Es ist ein großes Durcheinander, dass die Leute in Polen es Ende Juli herausgefunden und nichts gesagt haben“, sagte er. Deshalb seien die Menschen und Behörden in Deutschland zu lange „völlig ahnungslos“ gewesen. Die Menge toter Tiere entlang des Flusses ist enorm. “Ich schätze, wir haben leicht mehrere Tonnen toter Fische.”

Das genaue Ausmaß des Schadens lässt sich jedoch nur schwer abschätzen. „Die Oder ist ein Fluss. Die Masse der toten Fische schwimmt mit.

Gleichzeitig hoffen Fischer: Wie Rinnen könnte auch ein mögliches Gift den Fluss mit der Strömung verlassen. „Die Erfahrung zeigt, dass es sich insbesondere in Flüssen um kurzfristige Phänomene handelt“, sagt Dettmann. Das ist kurzfristig katastrophal, langfristig aber oft weniger gravierend.

In Polen haben sich die Wasserwerte wieder normalisiert

Davon sprechen auch Berichte aus Polen. Nach Angaben der Wasserbehörde Breslau sind neuere Wasserproben aus der Oder in Niederschlesien nicht kontaminiert. Der Giftstoff Mesitylen sei seit dem 1. August nicht mehr in Proben nachgewiesen worden, teilte die Behörde am Donnerstag mit. Der physikalische und chemische Zustand des Wassers wird weiterhin täglich untersucht.

Zudem würden die Fische auch der Ausbreitung des Giftes entkommen, erklärte Verbandschef Dettmann. Sie schwammen dann zu unverschmutzten Nebenflüssen. Ein Vorteil ist, dass die Oder keinen Damm hat.

Ein Bericht aus Brieskow-Finkenheerd südlich von Frankfurt (Oder) zeigte dem Fischer, dass das Schlimmste nicht passieren könne. Dort hat ein Fischerkollege bereits Jungfische unter den toten Tieren entdeckt.

Dettmann hofft jedoch, dass die polnischen Behörden den Vorfall schnell aufklären. „Ich hätte gerne eine Adresse, an die ich die Schadensmeldung schicken kann. Denn was dort schwimmt, ist die zukünftige Leistung der Fischer.“ (mit dpa)

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