24. Juni 2022
Das „Molière“-Set: Glatzner, Brouwer, Friesz, Fellmer © APA / Ingo Pertramer
So entspannt sieht Michael Sturminger schon lange im Frühsommer aus. Da der diesjährige „Jedermann“ in Salzburg unverändert bleibt, „kann ich schalten“, erklärt der Regisseur. Für ihn heißt das: In Ruhe eine neue Produktion bei den Perchtoldsdorfer Sommerspielen einstudieren, deren künstlerischer Leiter er seit 2014 ist. Am 30. Juni feierte hier Michail Bulgakows Tragikomödie „Molière oder der Heiligenschein der Heuchler“ Premiere.
Das wenig aufgeführte Stück wurde 1936 in Moskau uraufgeführt und dort unter dem Titel „Der Clan der Heuchler“ veröffentlicht. Sturminger hat es neu übersetzt und bevorzugt den neuen, originelleren Titel. „Ich habe jahrelang an dem Werk gearbeitet und erst spät erkannt, dass dieses Jahr Molières 400. Geburtstag ist. Natürlich hatten wir keine Ahnung, dass der Ukrainekrieg die Dinge auf seltsame Weise noch aktueller machen würde. Aber es muss gar nicht so aktuell sein, denn das Verhältnis von Kunst und Macht ist ein fantastisches und ewiges Thema.“ Ein Thema, das sich von seinem langjährigen und fast weltweiten Engagement für die Oper „Ariadne auf Naxos“ erstreckt. „in seinem ORF-Fernsehfilm „Stirb die Unschuldsvermutung“ mit Ulrich Tukur in der Hauptrolle als selbstbewusster Starregisseur sein ganzes Künstlerleben lang.
„Molière“ hat eigentlich zwei Ebenen, auf denen die Auseinandersetzung zwischen Künstlern und Mächtigen stattfindet. Das Stück behandelt Molières „Tartuf“, die Intrigen der Kirche gegen den Autor und eine als blasphemisch gebrandmarkte Aufführung des Stücks sowie die Haltung König Ludwigs XIV. Auf der anderen Seite hatte der in Kiew geborene Michail Bulgakow (1891–1940) große Schwierigkeiten mit Stalin und der sowjetischen Führung, die wohl aufgrund versteckter Parallelen im Stück nicht nur in der Rolle des „Erzbischofs“ vermuteten erinnert sich als Leiter des Geheimdienstes, Beria. Nach vier Jahren Diskussionen und Verschiebungen durfte er endlich spielen und sagte nach sieben ausverkauften Vorstellungen wieder ab. „Aber dieses Niveau zeigen wir gar nicht“, sagte der Regisseur im APA-Interview. „Es ist alles nur Hintergrund. Wenn ich es so spiele, würde es abflachen. Ich interessiere mich mehr für das Komplexe, das Unausgesprochene. Es gibt kein reines Schwarz oder reines Weiß auf der Welt, aber verdammt viele Schattierungen dazwischen.“
„Molière“ sei ein Stück über Theater und Wahrhaftigkeit, beschreibt Sturminger, und auch unterhaltsam für ein Publikum, das nicht unbedingt über Theaterkenntnisse verfüge, was bei einer Freilichtaufführung in Schlosskulisse nicht zu vernachlässigen sei. Zum kulinarischen Genuss sollen auch einige Originalszenen aus Molières Werken beitragen, die eingearbeitet wurden.
Dass alle behandelten Themen in den letzten Monaten in Russland und der Ukraine besonders brisant geworden sind, hat der Regisseur vielfach erlebt. Eine Schauspielerin, mit der er in Perchtoldsdorf zusammenarbeitete, packte ihre Kinder in Moskau und floh nach Riga, die Wiedergeburt einer Inszenierung von „Don Giovanni“ beim Dmitri Hvorostovsky-Festival in Krasnojarsk scheiterte ebenso wie die Betreuung eines Dammbesitzes des Bolschoi-Theaters . „Ich habe enge Kontakte zu vielen russischen Künstlern. Es ist zum Weinen!”
Er arbeitete auch mit Valery Gergiev am Mariinsky-Theater und erlebte sein Handeln im “System Putin” aus nächster Nähe. „Niemand, der nicht in der Situation war, kann sich rühmen, anderen zu sagen, wie sie sich verhalten sollen. Wir haben keine Ahnung, wie brutal das ist und welche Angst die Menschen haben. Die meisten unterstützen den Krieg nicht. Es ist unglaublich wichtig, das Ganze nicht zu verteufeln.“ Russische Leute. “
Da er nun keine Opernproduktion in Russland betreuen wird, hat Sturminger nach „Jedermann“ (Premiere am 18. Juli) etwas mehr Luft als sonst üblich. Neben der Vorbereitung zweier Filmprojekte wird der 59-Jährige im Februar Bernhard Langs Oper „Hiob“ am Stadttheater Klagenfurt uraufführen, für die er selbst das Libretto nach dem Roman von Joseph Roth geschrieben hat. Und dann gibt es natürlich noch einige laufende Projekte mit Filmstar John Malkovich, mit dem er seit anderthalb Jahrzehnten eng zusammenarbeitet. “Ich glaube, ich kann sagen, wir sind Freunde geworden.”
(Das Interview führte Wolfgang Huber-Lang / APA)
„Molière oder der Heiligenschein der Heuchler“ von Mikhail Bulgakov, Übersetzung: Julia Pak, Regie: Michael Sturminger, Bühnenbild und Kostüme: Marie und Paul Sturminger, Musik: Michael Pogo Kreiner, mit: Wojo van Brouwer, Hannah Rang, Veronika Glatzner , Michou Friesz, Andreas Patton, Nikolaus Barton, Valentin Postlmayr, Birgit Stöger u.a., Bühne Burg Perchtoldsdorf, Premiere: 30. Juni, 20 Uhr 17 Vorstellungen bis 30. Juli. Karten: 01/866 83-400, sommerspiele-perchtoldsdorf.at