WELT: Sie werden Ferda Ataman zum Antidiskriminierungsbeauftragten der Regierung wählen, Mr. Kühle?
Konstantin Kuhle: Ja, und ich gehe davon aus, dass ein großer Teil der FDP-Bundestagsfraktion für Ferda Ataman stimmen wird. Aber ich verstehe, dass es bei einigen Ihrer Aussagen aus der Vergangenheit Irritationen gab. Ich habe auch einige Fehler gefunden.
Insbesondere der Tweet, mit dem er während der Corona-Krise Krankenschwestern und Ärzten rassistische Motive vorwarf, hat bei mir überhaupt nicht funktioniert. Die FDP wird Frau Ataman messen, falls es ihr gelingt, in Zukunft einen inklusiveren Stil beizubehalten.
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WELT: Ihre Parteifreundin Linda Teuteberg wirft Ataman “spaltende Identitätspolitik” vor. Ist eine Philosophie, die Menschen in feste Gruppen einteilt und daraus Einstellungen ableitet, nicht ein Problem für die anderen FDP-Abgeordneten?
Kuhle: Wir haben dieses Thema offen mit Ataman in der Fraktion diskutiert. Ich finde es wichtig, dass es in der Vergangenheit zum Beispiel auf die Diskriminierung von Muslimen aufmerksam gemacht hat. Aber es ist auch notwendig, die Diskriminierung anzugehen, die von der muslimischen Gemeinschaft selbst ausgeht, wie etwa Antisemitismus oder Homophobie.
Gruppenzugehörigkeiten können nicht immer geltend gemacht werden. Es liegt grundsätzlich in der Eigenverantwortung der Menschen. Ataman hat hier eine wichtige Aufgabe vor sich.
“Ein ordentlicher Twitter-Account macht noch lange kein leeres Board”
Der Bundestag streitet über die Ernennung der neuen Antidiskriminierungsbeauftragten Ferda Ataman. „Wer glaubwürdig gegen Diskriminierung vorgehen will, muss respektvoll mit allen umgehen“, sagt Linda Teuteberg (FDP). Ataman ist am besten dafür bekannt, dass er diejenigen angreift, die anders denken.
WELT: Sie werden mit der Wahl auch Mitglieder von Migrantencommunities enttäuschen, die zuletzt deutlich Personal kritisiert haben. Es macht dir nichts aus?
Kuhle: Nein, diese Kritik muss man sehr ernst nehmen. Ich hoffe, dass sich sowohl der Ataman als auch die relevanten Gruppen zu Nachwahlgesprächen treffen werden. Es wird Aufgabe der Antidiskriminierungsstelle sein, auf diese Kritik einzugehen.
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WELT: Wäre es nicht einfacher gewesen, jemanden als Antidiskriminierungsbeauftragten zu wählen, der zuvor seine Bereitschaft gezeigt hat, sich zu differenzieren?
Kuhle: Gerade in dieser Woche diskutiert der Bundestag über Energiesicherheit im Herbst und Winter, bessere Ausrüstung der Bundeswehr, Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands, mehr Freihandel mit Kanada. Daher gibt es wichtigere Themen als Ferda Ataman.
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WELT: Die Ampelkoalition hat eine Wahlrechtsreform durchgeführt und eine Kommission geschaffen, die sich auch mit “dem Ziel einer gleichberechtigten Vertretung von Frauen und Männern im Parlament” befassen soll. Ein Herzensthema der FDP?
Kuhle: Es ist nichts falsch daran, dass ein Bundestagsausschuss darüber diskutiert, wie mehr Frauen in Parlamenten vertreten sein können. Alles sollte nur ohne zwingende Paritätsregel geschehen. Angesichts der Entscheidungen der Verfassungsgerichte von Brandenburg und Thüringen haben wir gesehen, dass diese Pflicht mit unseren verfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht vereinbar wäre.
WELT: SPD und Grüne sind für Paritätsgesetze.
Kuhle: Die FDP wird keine verbindliche Frauenquote im Bundestag akzeptieren. Und das nicht nur, weil wir sie für verfassungswidrig halten, sondern auch für falsch. Grüne und SPD gehen davon aus, dass ein Parlament perfekt geformt ist, wenn es zu 50 Prozent aus Männern und zu 50 Prozent aus Frauen besteht, weil dann Frauen und Männer gleich stark vertreten sind. Aber als Parlamentarier hat man immer die Verantwortung für das ganze Volk. Dies steht ausdrücklich in unserem Grundgesetz.
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WELT: Wenn schon klar ist, dass die FDP mit einer Paritätsregel nicht einverstanden ist: Warum dann eine Kommission zum Thema? Ist das nicht Ressourcenverschwendung?
Kuhle: Nein, denn es gibt nicht nur Alternativen zu „zwingenden Paritätsregeln“ oder „gar nichts“, sondern auch andere Möglichkeiten, die Attraktivität und Teilhabe unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen an der Politik zu steigern.
Wir haben zum Beispiel das Problem, dass die Sitzungspläne im Parlament so sind, dass es Menschen mit kleinen Kindern schwerer fällt, für politische Ämter zu kandidieren. Wir müssen darüber reden, ob wir auch in der Politik eine längere Elternzeit einführen können. Die Kommission sollte darüber beraten.
WELT: Ich sollte auch diskutieren, wie der Bundestag verkleinert werden kann. Im Vorfeld präsentierten Sie und Ihre Ampelkollegen eigene Vorschläge, was einige Experten verärgerte. War das Drehbuch ein Fehler?
Kuhle: Unser Bundestag wächst seit Jahren. Das liegt vor allem an der Union, die in der Vergangenheit keine kontinuierliche Reform des Wahlrechts erreicht hat. Der Widerstand von CDU und CSU zeigt, wie richtig es ist, dass die neue Ampelkoalition bei der Verkleinerung des Bundestages jetzt ans Werk geht.
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WELT: Sie wollen die Zahl der Abgeordneten auf 598 begrenzen. Das „Wie“ wird diskutiert. Sein Vorschlag besagt, dass ein Wahlkreis nicht mehr zwangsläufig an den Kandidaten mit den meisten Stimmen übergeht. Wenn eine Partei weniger Zweitstimmen als Erststimmen erhält, erhalten einige der Gewinner im Wahlkreis dieser Partei nichts. Warum lohnt es sich also, Wahlkampf zu machen?
Kuhle: Das Modell ist zutiefst demokratisch und nichts Neues. In Bayern beispielsweise zieht man mit einem Wahlkreissieg nicht einmal in den Landtag ein, aber die eigene Partei überwindet die Fünf-Prozent-Hürde nicht. Und in vielen Bundesländern gibt es Kommunalwahlordnungen, bei denen Kandidaten zwar mehr Stimmen erhalten als andere, aber noch nicht ins Parlament einziehen, weil die Liste insgesamt zu wenig Stimmen hat.
An unserem Modell würde sich an der Allokation nicht viel ändern. Bei der letzten Bundestagswahl wären nur 34 der 299 Wahlkreise nicht an den Kandidaten mit den meisten Erststimmen gegangen. Das Einzige, was sich ändern würde, ist, dass der Bundestag viel kleiner wird. Manche Leute in der Union mögen das nicht.
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WELT: Die Union schlägt ein Zwei-Stimmen-Wahlrecht vor, bei dem 299 Abgeordnete direkt und 299 über Parteilisten gewählt würden. Experten der Wahlrechtskommission sagen auch, das wäre viel verständlicher als Ihr Modell. Worüber redest du?
Kuhle: Gegen das sogenannte Unions-Grabenwahlgesetz spricht, dass alle Parteien außer der Union bei der letzten Wahl Sitze verloren haben. Armin Laschet wäre damit Bundeskanzler geworden, obwohl CDU und CSU im zweiten Wahlgang hinter der SPD lagen. Dies kann niemandem mitgeteilt werden. Beim Wahlrecht argumentiert er allein mit seinen eigenen Interessen.
WELT: Das Problem ließe sich lösen, wenn es den anderen Parteien gelänge, mehr Direktmandate zu gewinnen.
Kuhle: Es sollte der Ehrgeiz anderer Parteien sein, in Zukunft Direktwahlen zu gewinnen. meine auch. Unabhängig davon müssen wir jedoch kritisch hinterfragen, ob der Gewinn eines Direktmandats von rund 20 Prozent wirklich ausreicht.
In diesem Fall wurde der angebliche Gewinner nicht zu 80 Prozent ausgewählt. In dieser Konstellation zu behaupten, die einzige demokratische Lösung sei, diese Person den Wahlkreis vertreten zu lassen, ist in einem sich wandelnden Parteiensystem nicht mehr zeitgemäß.
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