Momentan macht sich die Welt nicht nur Sorgen um das Coronavirus, auch ein anderes Virus breitet sich immer schneller aus – das Affenpockenvirus. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat den Ausbruch der Affenpocken zu einem internationalen Notfall erklärt, die US-Regierung hat kürzlich den nationalen Gesundheitsnotstand ausgerufen, und auch in Deutschland erkranken immer mehr Menschen an dem Virus. Am 11. August zählte das Robert-Koch-Institut (RKI) 3.063 Fälle. Die bereits während der Corona-Pandemie aufgefallenen Vorwürfe und Verschwörungsmythen verbreiten sich parallel zum Virus.
Laut der Organisation Newsguard, die die Zuverlässigkeit von Internet-Nachrichtenseiten prüft, stimmen einige der häufigsten falschen Behauptungen über Affenpocken tatsächlich weitgehend mit Behauptungen über Covid-19 überein: Das Virus wurde einfach ausgetauscht.
Das bestätigt die irische Wissenschaftlerin Aoife Gallagher, die bei der Denkfabrik „Institute for Strategic Dialogue“ den Behauptungen rund um Affenpocken nachgeht:
“Als im Mai 2022 erstmals über Affenpocken diskutiert wurde, war klar, dass die Verschwörungserzählungen darüber einfach von denen über die Corona-Pandemie kopiert wurden.” Laut Gallagher funktioniert die Pandemie als Blaupause für Verschwörungsideologen. Außerdem werden Verschwörungsmythen ständig recycelt. “Sie bekommen alle paar Jahre einen neuen Anstrich, aber ansonsten bleiben sie gleich.” Dies sei ein typisches Merkmal von Verschwörungstheorien, so Gallagher.
#Faktenfuchs zeigt in diesem Text, wie weit verbreitet Behauptungen zum Affenpockenvirus über Corona, Aids oder andere Erreger bereits kursieren und warum sie immer wieder verbreitet werden.
Nein, die Pocken-, Corona- oder HI-Viren kommen nicht aus dem Labor
Der Affenpocken-Erreger ist nicht neu. Das Virus ist aus Zentral- und Westafrika bekannt, wo es endemisch ist. Auch der Begriff „Affenpocken“ ist irreführend. Obwohl das Virus erstmals in einem dänischen Labor bei Affen nachgewiesen wurde, wird angenommen, dass es natürlicherweise bei kleinen Nagetieren vorkommt. Sie verursachten in Zentral- und Westafrika immer wieder vereinzelte Infektionen, vor allem bei Kindern.
Das HI-Virus, das AIDS verursachen kann, wurde erstmals von Wissenschaftlern bei nichtmenschlichen Primaten in Afrika entdeckt; durch sie wurde es auf den Menschen übertragen.
Obwohl die Herkunft beider Viren wissenschaftlich untersucht ist, verbreitet sich daher das falsche Narrativ, sie seien als biologische Kampfstoffe im Labor entstanden. Im Fall von AIDS hält sich der Mythos seit den 1980er Jahren, als der russische Geheimdienst KGB und Stasi gezielt die Behauptung verbreiteten, den Vereinigten Staaten zu schaden. Das Stasi-Unterlagen-Archiv hat hier Informationen zur sogenannten „Operation Denver“ zusammengestellt.
Auch die Frage, ob das Coronavirus aus einem chinesischen Labor in Wuhan stammt, wurde während der Corona-Pandemie diskutiert. Bisher gibt es dafür keine Beweise.
Warum immer die gleichen Aussagen?
Doch warum halten sich längst widerlegte Behauptungen so hartnäckig? Es gehe nicht um Fakten, sagt Miro Dittrich vom Center for Monitoring, Analysis and Strategy (CeMAS). Stattdessen geht es um die emotionalen Nöte von Verschwörungsgläubigen. Die Erzählungen würden spezifische Funktionen haben. Das kann zum Beispiel das Bedürfnis sein, das Gefühl des Kontrollverlusts in einer komplexen Welt mit Schwarz-Weiß-Erklärungen zu kompensieren. Oder die Wertschätzung der eigenen Person, weil sie – anders als der Rest – durch die Verschwörung hindurch gesehen wurde.
Es könne auch eine Wirkung haben, wenn eine bestimmte Aussage immer wieder wiederholt werde, sagt Edda Humprecht von der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie, die dort zu Desinformation forscht. “Menschen neigen dazu, Informationen zu glauben oder zumindest offen dafür zu sein, sobald wir sie gehört haben. Das nennt man den ‘illusorischen Wahrheitseffekt’.” Wenn Desinformationsproduzenten Erzählungen verwendeten, die im Umlauf waren oder bereits im Umlauf waren, glaubten die Menschen der Botschaft eher, sagte Humprecht.
Die Folge: Diese Erzählungen erreichen viele Menschen und lagern sich in deren Köpfen ab, auch wenn sie zunächst als Nonsens abgetan werden. Humprecht sagt, es sei einfacher, darauf für zukünftige Veranstaltungen aufzubauen.
Virusausbruch war nicht „vorhergesagt“ oder „geplant“
Ein weiteres Beispiel, das in unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder kursiert: die Verschwörungstheorie, dass der Ausbruch der Affenpocken geplant oder vorhergesagt wurde. Das stimmt nicht, wie der #Faktenfuchs hier bereits erklärt hat.
Die angebliche „Plandemämie“ basiert auf mehreren gefälschten Dokumenten. Im Fall der Affenpocken soll der Ausbruch des Virus in einem Planspiel auf der Münchner Sicherheitskonferenz “vorhergesagt” worden sein. Bei diesen Planspielen geht es darum, sich auf eine mögliche Pandemie vorzubereiten. Veranstalter setzen daher auf bekannte Viren, die ein potenzielles Risiko darstellen, wie zum Beispiel das Affenpockenvirus.
Im Fall des Coronavirus zitieren Verschwörungsgläubige unter anderem eine Bundestags-Risikoanalyse aus dem Jahr 2012. Allerdings taucht die Krankheit Covid-19 dort gar nicht auf, wie die AFP-Datenchecker belegten. Das Coronavirus selbst ist laut RKI nicht neu, Coronaviren sind unter Vögeln und Säugetieren weit verbreitet.
Evergreen: Die Verschwörungsgeschichten von Bill Gates
Beliebte Zielscheibe für Verschwörungstheoretiker: Bill Gates. Er soll sowohl den Affenpocken-Ausbruch als auch den Corona-Ausbruch vorhergesagt haben. Es stimmt auch nicht, zum Beispiel hat er nie Affenpocken in seinen Aussagen erwähnt.
Bill Gates, Pharmakonzerne oder eine „Weltregierung“, die eine Pandemie plant, um der Bevölkerung oder bestimmten Teilen davon zu schaden: Diese Narrative finden sich nicht nur bei Corona und Pocken, sondern auch bei der Aids-Epidemie. Mit weitreichenden Folgen: Laut einer Umfrage von 1999 glaubten mehr als 25 Prozent der befragten Afroamerikaner, dass AIDS dazu bestimmt sei, Afroamerikaner zu „ausrotten“.
Auch für das im Sommer 2021 in Westafrika ausgebrochene Marburg-Virus wurde eine „Plandemie“ vermutet.
Dahinter stehe der Wunsch nach Vereinfachung, sagt Edda Humprecht von der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie. „Schuldzuweisungen machen etwas so Komplexes wie eine Pandemie für manche Menschen greifbarer, wenn man klar sagen kann: Sie sind schuld und sie wollen, dass wir verletzt werden.“ Besonders dominant sei laut Humprecht das Narrativ von „Eliten“, die sich verschworen hätten. Behauptungen wie die vorhergesagte Pandemie richteten sich auch an ein bestimmtes Publikum, das für diese Erzählungen offen war.
Stigmatisierung bestimmter Personengruppen
Bisher wurden Affenpocken hauptsächlich von Männern infiziert, die Sex mit Männern hatten. Allerdings betont das RKI auf seiner Website, dass das Risiko, an Affenpocken zu erkranken, “nicht auf sexuell aktive Menschen oder Männer beschränkt ist, die Sex mit Männern haben”. Jeder, der engen körperlichen Kontakt mit einer infektiösen Person hat, kann sich anstecken.
Allerdings fällt in den sozialen Medien auf, dass Affenpocken von Personen der rechtsextremen Szene als Krankheit dargestellt werden, die nur schwule Männer betrifft. Laut Miro Dittrich von CeMAS war diese Stigmatisierung schwuler Männer auch während der AIDS-Epidemie zu beobachten. Viele Veröffentlichungen bringen Homosexualität in Verbindung mit Krankheit, Perversion, gesellschaftlichen Problemen.
Das könne weitreichende Folgen haben, sagt Dittrich. „Einerseits gehen Menschen, die nicht schwul sind, nicht zum Arzt, sodass ihre Symptome nicht richtig erkannt werden. Andererseits wird es als marginalisiertes Problem angesehen und nicht richtig angegangen, bis es überschritten ist. Gruppe”. Sie reagieren also zu spät, zum Beispiel beim Kauf eines Impfstoffs.
Affenpocken werden mit Corona in Verbindung gebracht
Ein weiteres Beispiel für die „Wiederverwendung“ von Erzählungen ist die Skepsis gegenüber Impfungen. Im Fall der Affenpocken werden sogar angebliche Verbindungen zum Coronavirus aufgebaut, etwa in der weit verbreiteten Falschbehauptung, Affenpocken seien eine vermeintliche Nebenwirkung des Astrazeneca-Impfstoffs, der gegen Covid-19 entwickelt wurde.
Hintergrund ist ein sogenanntes Adenovirus, das Teil des Astrazeneca-Impfstoffs ist. Das Adenovirus hat die Aufgabe, den Bauplan des Spike-Proteins in menschliche Zellen zu transportieren. Dies ist ein bei Schimpansen vorkommendes Erkältungsvirus, das so geschwächt wurde, dass es Menschen nicht schaden kann. Aber Verschwörungsgeschichten sehen eine Verbindung zwischen „Affenpocken“ und dem schwächenden „Schimpansen-Erkältungsvirus“. Die Viren sind jedoch nicht gleich, das eine ist ein Pockenvirus, das andere ein Adenovirus. I: Das Affenpockenvirus hat einen falschen Namen. Es kommt natürlich bei kleinen Nagetieren und sehr selten bei Primaten vor.
Für überzeugte Impfgegner spielt das keine Rolle, sagt Aoife Gallagher vom SDI: „Der Glaube, dass Impfungen der Menschheit schaden können, ist in diesen Gemeinschaften so weit verbreitet, dass es jetzt möglich ist, alles, was damit passiert, miteinander in Verbindung zu bringen.“
Das passt auch zu einer anderen falschen Behauptung, die laut Newsguard bei Affenpocken besonders verbreitet ist: dass sie nur dazu gedacht seien, die Nebenwirkungen des Pfizer-Corona-Impfstoffs zu vertuschen, und dass es dadurch zu keinem Pockenausbruch kommen werde. Warum das nicht so ist, beschreiben die Faktenchecker der Deutschen Welle hier…